Blog Seite 14.
Galerie Hilde Leiss
20. April 2017 | Hamburg
Worte zur Eröffnung | Uwe Kolbe
Gute Gespräche sind selten. Und doch hatten wir gerade vorgestern eins, Andreas Homberg, seine Frau Thea und ich, am Abend nach dem Hängen dieser Ausstellung, in der Erschöpfung nach einem erfüllten Tag, vielleicht aus genau diesem Grund. Auf einmal ging es darum, wie sehr ein fertiges Bild auch Vernichtung ist. Es fiel dieses Wort. Das fertige Bild, das hier vor den Augen der Betrachter hängt, ist das Ergebnis von Vernichtung.
Genaugenommen von Vernichtungen, von mehreren, von vielen, und vom Ende her gesehen wieder von der einen. Falls am Anfang eine Idee war, eine Vision, eine Vorstellung von etwas, dann sind Idee, Vision, Vorstellung vernichtet in dem Bild. Falls am Anfang eine Skizze war, ein Entwurf, eine Kontur – weg sind sie, vernichtet in dem fertigen Bild, das nun, erst nach der Vernichtung, erst in diesem Vernichtetsein jeder betrachten kann. Klar ist, dass der Zustand, den der Maler als fertigen, als finalen bestimmt hat, viele andere Möglichkeiten ausschließt. Die Oberfläche eines Gemäldes, was immer abgebildet ist, wie gut, schön und freundlich es sei, sie ist ein Grab.
Sogar, wenn die Oberfläche eine so bewegte ist wie auf den Gemälden Andreas Hombergs, sogar und erst recht dann: Alles, was in dem Prozess geschah, ist beendet, abgeschlossen, erledigt. Betrachtung ist in diesem Sinne Kondolenz. Woran sich eine persönliche Meinung zwanglos anschließen lässt: Jede Kunstrichtung, die das ändern wollte und will durch plakatives Ausstellen des Vorgangs, durch Performance, ist so gesehen feige, erzeugt Stückwerk, führt im besten Fall zu einem schönen Fragment. Wer eine künstlerische Arbeit beendet, wer sich zu dem Abschließen bekennt, wer das Bild fertig macht und hergeht und zum Publikum sagt: Das ist es, so gut konnte ich es bis zu dem und dem Zeitpunkt machen, der beweist Mut.
Hören Sie nach dem Gesagten einmal genau auf das Wort Ausstellung. Ich wiederhole: Ausstellung. Sie wissen, wie das in jedem Vulgärlatein heißt, von Französisch bis Englisch. Ich muss es gar nicht sagen. Hut ab vor dem Mut.
Und weiter. Das Folgende warf Andreas Homberg auch ein bei dem Gespräch: Wenn da eine Stelle war, die der Maler liebte, während ansonsten noch vielfach die Grundierung anstand, sagen wir, eine gelungene Schraffur, eine Volte, ein Nebeneinander unerhörter Farben, da unten am Rand des Bilds, in einer seiner Vorstufen, oder genau da, in der Mitte, wo vor uns jetzt auf dem fertigen Bild die weiße Tafel prangt oder ein Stück Wiese liegt, ein Durchblick ins Offene sich bietet oder ein Schiffsleib, wenn da früher, irgend eines Tages im Atelier, deutlich sichtbar, vom Maler mit Entzücken betrachtet, diese aufregende und genaugenommen schon fix und fertige Stelle war...; und nun, vielleicht im letzten Augenblick, mit Schwung oder mit Ächzen oder einfach nur so macht der Maler mit dem Pinsel das und das und – futsch, weg, dem Nichts anheim gegeben, schwupps, wie nie gewesen ist die schöne Stelle!
Wie soll man das nennen? Ist es nicht Infragestellung, Verneinung, Vernichtung? Dem Betrachter des Ergebnisses, des letzten Zustands des Gemäldes vorenthalten ist diese Stelle sowieso, wie nie gewesen, nicht einmal dran gedacht. Betrachterin und Betrachter müssen sich, nachdem ihnen also etwas vorenthalten wurde, eine eigene, eine neue Stelle suchen. Sie werden, zum Glück ist das so, rasch fündig werden. Es gibt ja auch kein Copyright für das Finden von Stellen. Da kann jedermensch beherzt eine zur ganz privaten und allerliebsten erklären und festhalten oder von Fall zu Fall auch einmal die eine durch die andere ersetzen.
Dabei handelt es sich um Alltägliches: Das akribisch vermessene Fundament verschwindet unter dem Haus. Die feine Dachkonstruktion wird unsichtbar unter Ziegeln. Die raffinierte Schiebetechnik einer Verandatür wird ganz und gar ignoriert von dem Blick, der die Aussicht sucht. Psychologisch gesehen könnte da Trauer sein wie eines Kindes, das sich erinnert. Trauer und Schönheit wohnen an Stellen, wo sonst? Sie sind verbunden mit dem Erlebnis genau dort, mit dem Augenblick und dem Detail am Rande, manchmal sogar mit einer blauen Blume.
Allerdings harrt da noch eine andere Vernichtung: Die Galerie selbst. Darin liegt ja ihr Wesen. Auch mit durchdachtester, abwechslungsreicher Hängung wie hier – Dirk Rose sei Dank! Hier sind Sehen und Denken nicht festgelegt von einem Konzept, nicht eingeengt von einem ausgedachten Etwas. Und doch wird eine Galerie, wird eine Ausstellung vernichten: Bild kommt neben Bild zu hängen. Das eine treibt das andere aus. Das linke Bild will das rechts daneben auf keinen Fall. Sie halten einander nicht aus. Nein, sie beißen einander nicht, alles bleibt ja im Rahmen, auch wenn hier und da keiner verwendet wird außer dem Keilrahmen. In der Begrenzung des jeweiligen Vierecks bleibt alles ganz in der Ordnung. Und doch schließt eins das andere aus. – Was macht mein Blick? Was macht meine Liebe? Ich schaue das eine Bild an, und ich verliebe mich in das andere. Ich will hier bleiben, vor dem einen Bild verharren. Dieses Gelb erhebt mich. Dieses Grün tut mir gut.
Hier möchte ich ein Zitat einflechten, versprochen, nur eins. Wie ich finde, ist es eine gute Frage: „Was lässt sich dafür sagen, daß Grün eine primäre Farbe ist, keine Mischfarbe von Blau und Gelb?“ Ludwig Wittgenstein stellt sie in seinen Bemerkungen über Farben. Und fährt fort: „Aber wie weiß ich, daß ich dasselbe mit den Worten ‚primäre Farbe‘ meine wie ein anderer, der auch geneigt ist, Grün eine primäre Farbe zu nennen? Nein – hier entscheiden Sprachspiele.“ Soweit Wittgenstein, der Mann der Logik.
Ich kehre zurück zu meinem Sprachspiel um diese Ausstellung herum, zurück zu der ziemlich unlogischen Frage: Was macht meine Liebe? – Diese feiste Blumenblüte kommt ihr sehr entgegen. Jene Figur, in dem Gewand und in der Haltung, zieht meine ganze Sehnsucht auf sich. Nehmt mich auf, ihr da an der Tafel, bei dem Gastmahl. Oder ihr da, lasst mich in euerm Zug ins Offene mitziehen. Holt mich aus meiner Zeit heraus, in der mag ich nicht leben, nehmt mich mit in eure. Ist sie Vergangenheit, ist sie Zukunft? Vielleicht ist sie eine andere Gegenwart. Aber noch einmal: Da soll bitte kein zweites Bild sein. Nicht der andere Park, nicht einmal die andere Ansicht desselben Parks. Kein weiteres Blumenmedaillon. Kein nächstes Schiff soll kommen. Und schon gar nicht eine zweite Figur, die den Traum relativiert. Ja, eben den Traum, den ich bei der einen Figur schon träumte. Nicht bei der links im Hintergrund, nein, genau bei der da vorn rechts, bei der in dem Kleid, mein Gott, ich kann die Farbe nicht sagen, es ist eine Farbe, es ist eine Farbe. Warum kann ich nicht bei dem einen Bild bleiben?
Dabei ist die Lösung des Problems einfach. Ich werde das Bild kaufen. Ich lege mich fest. Ich sage
nicht nur Ja zu diesem Maler, sondern Ja zu diesem einen Bild. Ich lehne die Vernichtung des einen
Bilds durch das andere ab. Ich will nicht von der Vielfalt von meinem, nur meinem Bild abgelenkt
werden. Ich weiß, was ich will. Keine Vernichtung. Ich will diese vier Ecken und Kanten und das eine
von ihnen begrenzte Bild. Ich will genau diese Andreas-Homberg-Farben. Ich will, dass mein Bild ganz
meins wird. Ich werde mit ihm leben.
© Uwe Kolbe