Galerie Hilde Leiss

20. August 2020 | Hamburg

Katja Lange-Müller

Andreas Homberg - Essay zu dem Maler und seinen neuen Bildern

Wer sich erkühnt oder erfrecht - die einen sagen so, die anderen so - Hombergs Malerei beschreiben zu wollen, wird aus dem unerschöpflichen Meer der Sprache zunächst einmal eine Handvoll Wörter fischen. Bei mir waren es die zusammengesetzten Substantive Farbenrausch und Leuchtfeuer sowie die Adjektive wandelbar und unverwechselbar. Bei den zuletzt genannten Adjektiven liegt die Betonung klar auf der Endung ...bar. - Und das gefällt mir! Denn wann immer ich ein Homberg-Bild anschaue, kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass dieses Mannsbild die Farben trinken, löffeln, schlecken muss, Farben in abertausenden Nuancen, Tag für Tag und womöglich schon seit seiner Geburt; aber nicht etwa aus Eimern und Tuben oder von der Palette weg, sondern mit den Augen direkt aus der Welt.Und mit „Welt“ meine ich in dem Fall nicht nur die uns allen irgendwie sichtbare Um-Uns-Herum-Welt, sondern seine Welt, die geschaute, gehörte, gefühlte, geträumte, imaginierte ...

Andreas Homberg, davon bin ich überzeugt, besteht inwendig aus Farbe und nicht nur - wie jeder von uns - aus dem Rot des Blutes, sondern aus all den Farben, in denen all seine Bilder leuchten. Was sich vollzieht, wenn er malt, ist wahrscheinlich ein höchst subtiler osmotischer Prozess: Die Farben, die er - irgendwann und immer wieder - mit den Augen, nein, mit sämtlichen Sinnesorganen zu sich genommen hat, sprudeln als Wahrnehmungssequenzen wieder aus ihm hervor; sie verwandeln sich, nehmen Gestalt an, werden Bild-Elemente.

Andreas Homberg selbst formulierte das einmal so: „Ob ein Farbklecks am Ende ein Busch wird, ein Baum, ein Schiff oder eine Figur, das entscheidet sich, während ich male.“ - Wohlbemerkt: Es entscheidet sich, nicht er! Und das macht die Sache erst richtig interessant, nicht nur für uns, die wir dann sehen, zu was seine Farbkleckse metamorphosiert sind, sondern auch für den Maler, der das im Werden Begriffene ebenso im Blick hatte wie dieses ihn. Sie belauern einander, stehen sich quasi gegenüber, der Maler und das Bild; es ist ein Prozess, manchmal womöglich sogar ein Kampf, dessen Ergebnis von beiden abhängt. Nicht allein der Maler macht sich ein Bild, das Bild offenbart auch viel von demjenigen, der es geschaffen hat, selbst wenn es kein Selbstporträt geworden ist. Deswegen, um bei unserem Maler zu bleiben, erkennen wir in jedem Bild von Homberg einen Homberg, aber nur den gleichen, denselben niemals! Der ist in jedem Moment seines Lebens und seiner Bilder ein anderer.

Trotzdem, schlussendlich behält der Maler die Dinge in der Hand, er entscheidet, was sein Bild zeigt - auch von ihm, er kann es, wenn es ihm nicht genügt, ändern oder gar übermalen, also „auslöschen“, jedoch nur fast, denn das, was drunter war, grundiert das, was darüber kommt. Das Privileg der Deutungshoheit allerdings genießen wir, die vielleicht nicht gerade hochqualifizierten, dem Maler aber sicher wohlgesonnenen Betrachter dieser jüngsten Präsentation seiner Werke! Nu bestehen Gemälde generell - und logischerweise auch die des Andreas Homberg - ja nicht allein aus Farben, das wäre zu einfach, ebenso bestimmen die jeweilige Komposition und die mehr oder minder gegenständlichen Artefakte die Wirkungen, die darstellende Kunst auf uns hat. Und worum geht es nun konkret bei diesem Andras Homberg? Wer das mit einigen Sätzen fassen könnte, wäre eine Meisterin oder Meister der Wortmalerei. Eine solche bin ich nicht, doch ich will es wenigstens versuchen:
Was wir erblicken, man mag es Landschaft nennen: Parks mit Büschen, Bäumen, Büsten, die See und Schiffe natürlich, denn die gehören zu Homberg, dem Norddeutschen.

Und Räume gibt es, Räume im weitesten und engsten Sinne des Wortes: „Welträume“. Drinnen kleine Gruppen menschlicher Gestalten, mehr Figurinen als Figuren, dazwischen gelegentlich Skulpturen, die sich, wiewohl ungenau, deutlich von den menschartigen Wesen unterscheiden, auch Instrumente, sonstige Künstler-Utensilien und vereinzelt Tiere, Katze oder Hund, die jene um spärlich gedeckte Tische oder an hell beleuchteten, prononciert-bühnenhaften Orten versammelten Grüppchen ergänzen. Diese Szenen haben etwas Theatralisches und zugleich Intimes; doch sie wirken, zumindest für mich, gerade nicht lebhaft-alltäglich, eher ruhig, ja still, wie ins Bild ge- oder bestellt,womöglich herbeigesehnt. Offenbaren sie des Malers Erinnerungen an oder seine Wünsche nach Geselligkeit?

Extrem dynamisch hingegen der oft enorm große Himmel, der sich über dem mal zahmen, mal wilden Meer und dessen aus Schiffen bestehender Gesellschaft, dem Vegetativen und dem Humanoiden wölbt und dehnt und sich über die Dimension des Bildes hinweg zu erstrecken scheint; der allgewaltige Homberg-Himmel, der den ihm gebührenden Platz einnimmt und die Atmosphäre beherrscht, so, wie dies im Freien, genauer der Freiheit, eben nur die Atmosphäre kann. Das Geschehen droben markiert einen seltsamen Widerspruch zu dem vermeintlich idyllischen Frieden drunten. Stört oder verstört es diese in sich gekehrten Gestalten, die vielleicht Freundesrunden darstellen, Wahlverwandtschaft, Zirkel verschworener Gleichgesinnter ...?

Auf jeden Fall schaffen die Himmelsdramatik und die grell-diffusen Lichteffekte diese seltsam ambivalente Stimmung, die ich jetzt mal melancholerisch nenne, von ihnen geht jene potenzielle Verunsicherung und manchmal sogar etwas wie Gefahr aus, die für Hombergs Malerei immer wieder charakteristisch ist. Diesmal sehen wir Bilder mit merkwürdig plastischen Wolken. Wolken, dass er die liebt, weiß wer Andreas Homberg kennt; doch seit einiger Zeit gibt es welche, die ihren Aggregatzustand womöglich bereits mindestens zweimal gewechselt haben. Waren sie zunächst gasförmig, dann flüssig und werden nun fest, kompakt, halbtransparente Eisklumpen am sommertaghellen Firmament? Noch schweben sie, aber könnten sie nicht bald einmal auch auf die Erde niederstürzen und sich als kosmische Materie erweisen?

Ein Bild hat mich, als ich Andreas in seinem Atelier besuchte, ganz besonders erregt, und auch auf diesem geschieht - flüchtig beäugt - das nicht Ungewöhnliche, einen Blick später jedoch sehr Irritierende am Himmel. Zwischen zwei Baumgruppen hängt, beinahe in der Mitte des unteren Bildsegments, ein Gestirn. Ist das noch die milchig aus dem nicht völlig klaren, von Heller zu Dunkler changierenden Blau abtauchende Sonne oder schon der blasse Mond im zarten Ring seines Hofes? Wird das eine Morgen- oder eine Abenddämmerung? Oder rührt dies allmählich sich Verdunkelnde dort oben von etwas gänzlich anderem her? Auf dem Bild fliegen buchstäblich die Fetzen! Was diese Fetzen darstellen, man kann es vermuten, deuten, mit oder ohne die sprichwörtliche Hoheit.

Sind es Vögel? Riesige Falter? Eine Art Invasion - von was auch immer - ist es allemal, selbst wenn man in den Fetzen schlicht irgendwelche Vögel erkennen mag. Vielleicht Möwen? Dann aber Hitchcock-Möwen. Oder sind es außerirdische Vögel? Oder gar keine Vögel, sondern Aliens mit Schwingen, in vogel- oder insektenartigen Körpern, oder Panzern, oder Flugapparaten? Was wollen die? Woher kommen die? Etwa von diesem Gestirn, das weder Sonne noch Mond ist, eher ein fremder Planet oder ein kugelförmiges Raumschiff?! Und warum sind diese Geschöpfe oder Mechanismen unterwegs? Sie bewegen sich, über den Bildrand hinaus, uns entgegen, scheinen ein Ziel zu haben, wenigstens eine Richtung ... Muss man für diese Deutungsvariante paranoid sein oder nur ähnlich phantasiebegabt und geheimnisaffin wie der Maler dieses Bildes? Wenn wir lange genug und mit den eigenen Augen hinsehen, kann Hombergs Welt zu unserer werden, genauer: zur individuellen, nie gleichbleibenden, sondern stetig sich wandelnden Welt eines jeden von uns, den heute hier versammelten Erdenmenschen. So, und jetzt wünsche ich uns allen einen guten Abend und einen wachen Blick!
© Katja Lange-Müller