Hela Baudis über Andreas Homberg im Katalog Seestücke 2000
„...jede Tür / führt zum Meer…in freie Landschaften“
Octavio Paz
Im Pandämonium der Bilderwelt des Malers Andreas Homberg herrscht gegenwärtig das universelle Blau. Ein Blau, das alles kennt, nichts verschweigt und eine Tür zur Seele öffnet, eine unbegrenzte Möglichkeit, die greifbar wird. Dieses Blau in seinem immensen Nuancenreichtum gestattet einzutauchen, in alle Arten von Wasser und Himmel. Es erlaubt dem Auge umher zu streifen, sich i,m Unendlichen zu verlieren, zu erschöpfen. Noch im Moment ersten Sehens sind wir eingeschifft, schon auf großer Fahrt…, wir erleben überrascht Seestück um Seestück in Marineblau, Blassblau, Kobaltblau oder Dunkelviolett - eine faszinierende Unwirklichkeit bricht auf.
Aus der Wirklichkeit eigenen Erlebens hat Homberg seine inneren Bilder hervorgezogen und in neue kraftvolle Kompositionen verwandelt. Wasserlandschaften, Seestücke sind im Oeuvre des Malers kein Novum, eher ein Kontinuum und seit Jahrzehnten überaus variantenreich anzutreffen. So erscheint die Entscheidung für eine komprimierte Präsentation dieses Motivkreises um fünften Lebensdezenniums geradezu folgerichtig und wird zum Resümee. Denn die Szenen von Seen, Meeren, Boddengewässern, Flüssen, Teichen, vom Hafen und den Dünen zu unterschiedlicher Jahreszeit sind irgendwo immer auch Teil seiner Biographie. Sie spiegeln Kindheitserinnerungen, Befindlichkeiten, Sehnsüchte, sind Metaphern einer rastlos suchenden Künstlerexistenz. Lange Aufenthalte nahe der Ost- und Nordsee haben das Verhältnis zum Meer geprägt und es in seiner betörenden Schönheit, seinem ewigen Strudel von Ruhe und Bewegung, seinem zerstörenden Toben erkannt und sinnlich darstellbar gemacht.
Hombergs Kunst ist aus Erfahrung, Selbstzweifel wie aus der Verbeugung vor der Schöpfung geboren, sie trägt keinen Stil wie ein Schutzschild vor sich her. Sie tritt als unverwechselbare Ich-Mitteilung auf, und das erklärt ihre Geradheit, Sensibilität und vor allem Wahrhaftigkeit. Einige Seestücke sind meditative, zuweilen heitere oder ernste Transfigurationen des Malers, den seine schöpferischen Wanderungen immer wieder über einen schmalen Grat zwischen prosaischer Wirklichkeit und poetischer Abstraktion führen. Die Bilder erzählen sehr verschiedene Geschichten. Harmonie und Gleichgewicht haben darin Platz wie Unruhe oder mystische Rätselhaftigkeit. Im permanenten differenzierten Gegenüber der gesetzten Kontraste gewinnen sie an philosophischer und psychologischer Tiefe und ermöglichen definitive Einblicke in Homberg kreativen Kosmos. Auf offener Bildfläche läuft eine Art spannender Entdeckungsfahrt ins Unbekannte ab.
Homberg durchmisst dabei zuerst Räume des ihm einmal Vertrauten, um danach Seemeilen der Verwunderung auf sich zu nehmen. Nähe und Ferne existieren als imaginäre Raumillusion, als zentrales Thema und kulminieren vielleicht in dem Satz von Rafael Alberti: „manchmal riecht das Meer nach Trübsinn, nach hoffnungslosem Heimweh, unendlicher Gewißheit, es nicht lassen zu können“. Im Spannungsfeld von freizügigem Gerstus und psychischer Angespanntheit mals Homberg seine Projektionen der Sehnsucht, Visionen von fernen Küsten, Häfen, Stränden, malt das Einssein und Fremdsein als Gegen-Sätze. Er folgt seinem sicheren Gefühl für die kontrapunktische Bewegtheit eines Motivs, spürt ihm nach und findet mit scheinbarer Leichtigkeit bei Akzeptanz des Zufalls die adäquate malerische Form.
Doch der Atem all seiner Kompositionen ist der Farbenreichtum, der eher melodisch als dissonant daherkommt, sich sinnlich auslebt, der Schönheit und der Spurensicherung des Wirklichen dient. Ein Furor an Farben droht manchmal den engen Bildraum zu sprengen, und der Wertschätzung der Materialien zeigt des Künstlers Vorliebe für Vielfalt der Oberflächenstrukturen an, das Pastose, Schrundige, flächig Glatte, Monochrome. Die Farbe als Energieträger bleibt Hombergs Grundelement. Als Fläche und Raum schaffendes Potential wird sie zum wesentlichen Parameter des Oeuvres, ihr ist eine Dynamik eigen, die mit dem Zufall im Bunde steht.
In der Regel überwiegt im malerischen Werk der aktive Ausdruck gegenüber einer auch vorhandenen kontemplativen Verhaltenheit, wenn etwa in den Seestücken Momente der Stille überwiegen und Einsamkeit den Grundton stimmt. Jedes Bild bleibt ein Zeichen subjektiver seelischer und geistiger Verfassung; Hell und Dunkel als wägbare Gewichte gesetzt, legen zuweilen auch das Imaginäre einer Situation bloß. Gemälde wie „Die Ausfahrt“ von 1996 oder „Nordseedüne“, „Hafen am Morgen“ aus dem gleichen Jahr und besonders die vielen neuen Arbeiten, wi z.B. „Wetter über der See“, „Seewiesen“ und „Stürmische See“ zeigen das an. In Dunkelheiten verdämmert Geheimnisvolles, hin und wieder gekrönt von magischen Lichtfäden. Neben dem Gelb, dem Grün mit schwarzer Kontur, neben leuchtendem Feeuerror ist auch das Blau wieder da und steht für die unergründliche See. Es hat Schwarz im Schlepptau und schützt Weiß vor Unschuld. Für Blau gibt es keine Grenzen oder Lösungen.
Anders das Hombergsche Violett, das die Schatten an sich zieht, sich mit Schwarz verbündet. Violett ist von allen Farben ein Luxus. Der Maler kennt seinen Reichtum: das Kobaltviolett, Mangan- und Ultramarinviolett selbst das Marsviolett, scheint er zu lieben. Die Impressionisten kreierten in malvenfarbenen Jahrzehnt violette Schatten und Claude Monet einen Heuschober im Sonnenuntergang, überflutet von Rosa und Violett.
Rauschhaft gesetzte Farben und expressive großzügige Formen durchdringen sich, vergleichbar einer räumlich rhythmischen Polyphonie. Eine Art Wassermusik im Kammerton vermutet man aus den Tiefen mancher Kompositionen zu hören. Musik ist für Homberg durchaus ein wichtiger inspirierender Faktor. Wie sehr es ihm gelingt, Gehörtes in seine Formenwelt frei assoziativ zu transportieren, um es schließlich ganz ungewöhnlich und eigenwillig neu zu interpretieren, hat er 1999 bewiesen. Damals entstanden jene aufregend unsentimentalen poetischen Bilder in kraftvollen Farben zu Franz Schuberts Liederzyklus „Die schöne Müllerin“, die die Musik nur marginal tangierten, weil sie auschließlich Malerei waren und sein wollten!
Mit seinen Seestücken verfolgt Homberg nicht das Ziel in die Gilde der Marinemaler aufgenommen zu werden, um sich kunsthistorisch einordnen zu lassen. Solchen Ehrgeiz kennt er nicht, weiß aber um die Leistungen der holländischen Meister des 17. Jahrhunderts, die das Genre zu höchster Qualität führten und Maßstäbe setzten. Sein Blau sucht auch nicht dem des hervorragenden russischen Malers Aiwasowski aus dem frühen 19. Jahrhundert zu gleichen, und Caspar David Friedrichs romantischer Blick über die Ostsee nötigt dem Maler im Jahre 2000 lediglich achtungsvollen Respekt ab.
Dieses Jahrtausend fordert den Künstler der modernen Industriegesellschaft anders heraus. Das Meer, die See, sie zeigen sich ihm in heutigen Konstellationen. Er sieht, die Schönheit ist sichtlich bedroht, und es existiert vor allem Gefahr für das Element Wasser. Mehr als je zuvor sorgen Verseuchung, Verschmutzung, Vernachlässigung oder auch Zerstörung für Beunruhigungen. Der Schutz natürlicher Lebensräume, der elementaren Landschaften, ist durch die Kunst mit ihren reichen gestalterischen Mitteln sensibel aufzurufen.
Für Andreas Homberg, den stillen aber wachen Beobachter wird das Meer gewiß ein wichtiges unerschöpfliches Thema bleiben. Bleiben werden aber auch die Szenen, der um einen Tisch versammelten Gruppen, vertieft in ein ernstes Gespräch, eine kontroverse Diskussion. Diese besonderen „Tischbilder“, wie der Maler sie nennt, weisen auf ein nie verloren gegangenes waches Interesse an den Menschen seiner Zeit und Umgebung hin. Figurationen, Handlungs- und Erzählstränge erstehen erneut im Strudel der Farben und Formen, vieles schwimmt wie in einem energetischen Strom dahin. Verwandlung bringt Veränderungen und die eindeutige Absage an schlichte Eindeutigkeiten. Wie die temperamentvoll gesetzten Farben sind auch die Inhalte mehrschichtig geworden. Lust an malerischen Formerfindungen treiben den Maler offensichtlich voran. Nicht Stillstehen, weiter, weiter, nur keine Klischees, Visionen realisieren, die Natur neu, noch und noch befragen.
Es bleibt schwer, an die Dinge der Welt nah genug heranzukommen, vor der leeren Leinwand steht jeder Künstler als Einzelkämpfer da. Homberg sind Komplikationen des Künstlerdaseins nicht fremd und die Schwierigkeiten sich freizuhalten von äußeren Zwängen, bringen ihm den Gedanken Albert Camus nahe: „Nackt muß ich sein und muß dann, mit allen Gerüchen der Erde behaftet, ins Meer tauchen, mich reinigen in seinem Salzwasser und auf meiner Haut die Umarmung von Meer und Erde empfinden, nach der beide so lange verlangen.“
Text im Katalog „Seestücke“ 2000 anläßlich der Ausstellung in der Galerie Rose, Hamburg© Hela Baudis